Predigten zum Nachlesen

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Festgottesdienst zum Stadtjubiläum

am 25.06.2023 um 9.30 Uhr in der Hauptkirche von Königsbrück


Eingangsgebet 

Gott, von dir und durch dich und zu dir sind alle Dinge.

Dir sei Ehre in Ewigkeit. (Röm. 11,36)

Dir vertrauen wir deshalb alles an, was wir sind und haben und danken dir für deine Treue und Geduld.

Alle unsere Zeit, alle Jahre und Situationen sind in deiner Hand, in die wir uns erneut und weiterhin hineingeben

durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn.

Amen.


I. Lesung aus dem Buch des Propheten Jeremia im 29. Kapitel:

Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an die, die nach Babel weggeführt worden waren … So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.


II. Denn so spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels:

Lasst euch durch die Propheten, die bei euch sind, und durch die Wahrsager nicht betrügen, und hört nicht auf die Träume, die sie träumen! Denn sie weissagen euch Lüge in meinem Namen. Ich habe sie nicht gesandt, spricht der HERR. Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.

Wort des lebendigen Gottes  (Jer. 29.1.4-14, LÜ)


Predigt [Pfarrer Tobias Weisflog]


Liebe Festgemeinde!

Wenn sich Menschen kennenlernen, dann fragen sie meist auch nach dem Ort, woher der andere kommt. …

Wie gern sagen wir, wo wir wohnen? Was bedeutet uns Königsbrück?

 

Jeder Ort, jede Stadt hat einen Namen. Manchen wurde der Name genommen wie Chemnitz, das vor 70 Jahren in Karl-Marx-Stadt umbenannt wurde; aber das ist längst wieder Geschichte.

Königsbrück heißt immer noch Königsbrück, und ich mag diesen Namen, sogar sehr.

Der Altar in dieser Kirche mit seiner Krone und dem Namensschild darunter zeigt, wer zu allen Zeiten der König ist, und auch der Brückenbauer. Kein anderer als Jesus hat die tragende und versöhnende Brücke gebaut zwischen uns Menschen und Gott. Über die sollte jeder gehen. Das eröffnet einen neuen Lebenshorizont. Gottes ewiges Leben wird relevant.

 

Königsbrück wurde 1248 das erste Mal erwähnt, in einer Urkunde des Klosters St. Marienstern, also vor 775 Jahren.

Unsere Stadt kann noch viel älter sein.

Aus der Geschichte weiß man so manches. Aber wie war es wirklich? Wie fühlte sich das Leben an?  Z. B. um 1250 oder als viele Häuser abgebrannt waren, 1631 z. B., als der Vorgängerbau dieser Kirche abgebrannt war, oder wie fühlte sich das Leben damals in Königsbrück an, 1873, als die Feuerwehr gegründet wurde, die auch in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum feiern kann. Wir danken den Männern und Frauen der Königsbrücker Feuerwehr, die sich seitdem für unsere Stadt einsetzen.

 

Königsbrück liegt an der Pulsnitz; Mühlen wurden mit ihrem Wasser versorgt; Königsbrück lag aber auch Jahrhunderte lang an der Grenze. Menschen kamen und gingen.

Früher gab es zwei Bahnhöfe, inzwischen genügt der eine. Der Zug endet hier. Aber hier ist nicht die Welt zu Ende.

Königsbrück war Garnisonsstadt, wurde Militärstandort, als solcher spielt er immer noch eine Rolle.

Schon immer lag unsere Stadt an der Via Regia, am Pilgerweg. Pilger lernen auf ihrem Weg auch unsere Stadt kennen, wir dürfen Gastgeber sein. Menschen finden Herberge und immer eine geöffnete Kirche.

Seit drei Jahrzehnten tut sich ein großes beachtliches Naturschutzgebiet hinter unserer Stadt auf. Es gibt einen See der Freundschaft, man kann den Haselbergturm besteigen und seinen Blick über unendlich viel Wald schweifen lassen.

Menschen haben in Königsbrück ihr Haus gebaut, sie wohnen in einem neugebauten Haus am Wasserturm oder am Alten Reitplatz, wie eine ganz neue Straße heißt.

Königsbrück profitiert von der Nähe zu Dresden.

Königsbrück ist gewachsen, aber es wird wohl immer eine Kleinstadt bleiben – vor allem aber ist sie Heimat, ein Zuhause für etwa 4.650 Einwohner laut letztem Stadtanzeiger, Gräfenhain und Röhrsdorf mitgezählt.

 

Wofür können wir danken im Blick auf unsere Stadt? Ganz konkret: Ich freue mich über die neuen Wege und Bänke im Schloßpark; nicht nur für die Alten im nahen Seniorenheim, sondern gut auch für alle Jüngeren, die sich mal ein paar Minuten der Besinnung gönnen wollen.

Natürlich darf auch die Frage gestellte werden, worin die Sorgen bestehen. Aber auch: Was bleibt? Was trägt? Was verbindet? Es ist nicht alles selbstverständlich.

Es gibt auch Orte, auch dieser Gedanke ist mir gekommen, von denen ist nur noch der Name geblieben, wenn wir an Krakau oder Steinborn denken, in denen noch vor 100 Jahren Menschen zuhause waren. Sie hätten uns entsetzt angeschaut, hätte man ihnen gesagt, dass es ihren Ort einmal nicht mehr geben werde.

Oder es gab in Mittelsachsen zwischen Mittweida und Frankenberg, in der Nähe der A4 eine Bergbaustadt mit dem Namen Bleiberg, deren Leben aber bereits im Mittelalter wieder erlosch.

Wovon lebt eine Stadt? Was bedeutet das Aus für eine Stadt? Was macht eine Stadt attraktiv?

Sie lebt von ihren Menschen.

Wie stehe ich zu meiner Stadt? Was gefällt mir an Königsbrück? Was tue ich für diese Stadt?

Ich denke an eine Frau, eine Königsbrückerin, die immer wieder an der Straße Unkraut entfernt. Dankeschön! Oder ich sehe den Mann, ein Königsbrücker, der im Sommer Wasser in Gießkannen aus der Pulsnitz holt und die öffentlichen Rabatten gießt. Dankeschön!

 

Wir schreiben das Jahr 2023.

Wo stehen wir?

Wir halten Gottesdienst.

Wie halten wir es mit Gott?

Die Kirche ist dazu da, um uns an Gott zu erinnern, der alle Zeit umfasst, und immer ansprechbar ist. Lasst unsere Besinnung doch immer auch auf Gott gerichtet sein!

Wir sollen Gott nicht vergessen, nicht vernachlässigen. Gott ist keine Deko, nicht der Schmuck für das Fest für ein paar Tage, sondern der HERR für unseren Alltag, für alle Tage, für unser Leben. Das ist ein Geschenk! Ein Halt!

Der König David kann uns Vorbild sein, wenn er betet, wie es in Psalm 31 der Bibel heißt: Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche (ich spreche darüber!): Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.

 

In der Lesung haben wir die Worte des Propheten Jeremia gehört. Er redet den Menschen nicht nach dem Mund. Er sagt ihnen nicht das, was sie hören wollen, sondern was Gott zu sagen hat. So schreibt er einen Brief an die, die ihre Stadt und ihr Land verlassen mussten. Sie waren im Krieg gegen Jerusalem weggeführt worden, mussten im Ausland leben, neu zurechtkommen; Gott hatte seine Strafe angekündigt und wahrgemacht. Aber Gott ist noch lange nicht am Ende.

Er lässt den Menschen ausrichten, und das ist die beste Ausrichtung: Sucht der Stadt Bestes und betet deshalb für sie zum HERRN! Nach einer anderen Übersetzung: Suchet das Wohl der Stadt, … und betet für sie zum HERRN; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl! 

 

Wir werden nicht aufgefordert, Nörgler oder Pessimisten zu sein, sondern dass wir uns identifizieren mit dem Ort, in dem wir wohnen, indem wir für ihn beten, konkret Fürbitte halten, an Gott festhalten, was auch passieren mag. Was wissen wir, was in einem Jahr sein wird.

Wenn wir beten, dann nehmen wir Gott ernst, dann schließen wir uns an die Quelle an. Wir führen keine Selbstgespräche. Wir stehen in Kontakt zur höchsten Autorität und Majestät. Beten ist das Einbeziehen des höchsten Brückenbauers in unser Leben, so können Gräben und Wunden wieder heilen. Es gibt keinen Grund, einander aufzugeben, aber zu vergeben. Statt übereinander herzuziehen, lasst uns miteinander reden und füreinander beten!

Versuchen wir es doch mit Gott wieder, auch in Königsbrück. Mit neuem Gottvertrauen!

Wir liegen Gott am Herzen.

Und lasst uns Gott doch auch von Herzen suchen und in alles einbeziehen!

Wir werden neue Erfahrungen mit Gott machen - zum Segen für uns selbst und unser Zusammenleben. Amen.

 

Die farbigen Papier-Häuser auf den Bänken stehen für unser Leben in unserer Stadt. Es ist gut, wenn in unseren Häusern gebetet wird. Wir haben jetzt Zeit, Wünsche und Gebete auf die Häuser zu schreiben, einen Dank, eine Fürbitte. Sie können dann zum Altar gebracht werden.

Diese Häuser werden in unserer Kirche längere Zeit aufgehängt und sichtbar gemacht sein.


Fürbittengebet

(Menschen aus unserer Stadt beten mit der versammelten Gemeinde)


Herr, unser Gott, unser Leben kommt von dir und alle Geschichte wissen wir in deiner Hand. Wir kommen mit unserem Gebet zu dir:


1. Unsere Stadt kann ein Fest feiern; wir danken dir dafür. Vor dir liegen offen alle Jahre, der Weg durch die Geschichte, die vielen Generationen, das Frohe und auch das Schwere. Du sagst uns durch die Worte der Bibel: Verlasst euch auf den HERRN für immer, denn Gott, der HERR, ist ein Fels ewig. – Wir bitten dich. Vergib uns, wenn wir dir nicht vertraut haben, wenn wir zu sehr mit uns beschäftigt gewesen sind, wenn wir schuldig geworden sind durch Lieblosigkeit und Halbherzigkeit. Hilf uns, zu dir zurückzukommen.

Wir bitten dich: erhöre uns. Kyrie eleison (EG 178.9 - aus der Ukraine)


2. Wir danken dir, Gott, für alles, was an Gutem und Hoffnungsvollem entstanden ist. Wir danken dir für alle Lebensfreude und Schaffenskraft. Unsere Stadt mit ihren Ortsteilen ist uns Heimat geworden. Segne bitte alle, die hier leben oder auch als Gäste zu uns kommen. Wir bitten dich: erhöre uns. 

 

3. Wir bringen dir, Gott, die Häuser, in denen wir wohnen, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, genügend zu essen, ärztliche Versorgung. Wir danken dir für das Engagement der Vereine, wir danken dir für die Kamelien, die zu Königsbrück gehören, und loben dich, unseren Schöpfer, auch über der schönen Landschaft, in die unsere Stadt eingebettet ist.

Herr, unser Gott, wir ehren dich. Kyrie eleison

 

4. Wir bringen dir, Gott, alles, was dem Gemeinwohl dient. Wir beten für die Kindergärten, die Schulen, die Senioreneinrichtungen, für die Arztpraxen, Geschäfte und Betriebe. Segne bitte die Arbeit im Rathaus; wir beten für unseren Bürgermeister, die Stadträte und alle Ortschaftsräte, die Verantwortung tragen. Wir bitten dich: erhöre uns. Kyrie eleison

 

5. Treuer Gott, von Anfang an hat hier eine Kirche bestanden, haben Menschen sich zu deinem Sohn Jesus Christus als dem Herrn bekannt. Erhalte die Gemeinschaft der Kirchen zu deiner Ehre und zum Segen für alle Menschen.

Erneuere sie durch dein Wort und deinen Geist. Wir bitten dich: erhöre uns.

 

6. Herr Jesus Christus, wir befehlen dir die Kranken an. Richte die auf, die durch Schweres gehen. Für uns alle erbitten wir Ehrfurcht vor dir. Hebe den Grundwasserspiegel der Liebe und der Hoffnung durch neues Gottvertrauen.

Für uns und die ganze weite Welt beten wir in deinem Namen: Vater unser ...

Predigt im Gottesdienst am 15.01.2023 in Königsbrück

zum Abschluss der Weltgebetswoche der Evangelischen Allianz 


Predigttext: Psalm 126 und Exodus 33,17 - 23

Thema der Woche: Joy - damit meine Freude sie ganz erfüllt


     Die Freude flieht auf allen Wegen; der Ärger kommt uns gern entgegen. 
Mit diesen Worten von Wilhelm Busch nähern wir uns dem heutigen Predigtthema. Die ganze Gebetswoche haben wir uns schon mit der Freude beschäftigt. Und heute lautet nun die Überschrift: „Ewige Freude“.

     Mein erster Gedanke beim Lesen war: “Ewige Freude, wer soll das aushalten?“
Freude gewinnt ihren Wert für uns, in unserem Leben, im Vergleich zum freudlosen, im Reiben an den schweren Dingen, im Ringen um ein Überwinden von Schwierigkeiten. Freude ist der Kontrast, das Gegenprogramm zu den Mühen des Alltages. Wie soll ich, wie sollen wir mit ewiger Freude zurechtkommen. Wenn man es sich überlegt, wirkt es wie beim Sketch über einen Münchner im Himmel. Immer nur frohlocken und Halleluja singen und keine Maß Bier und die Aussicht, dass dies ewig so weiter geht, damit konnte er sich nicht anfreunden.

     Wenn wir jetzt erwarten, dass ein freudiger Hallelujatext heute dran ist, werden wir überrascht. Der vorgeschlagene Text für heute ist Psalm 126. Ich lese ihn in der Übersetzung der 'Neues Leben Bibel':

     Ein Lied für die Pilgerfahrt nach Jerusalem.  Als der HERR die Gefangenen nach Jerusalem zurückführte, da war es für uns wie ein Traum! Wir waren voller Lachen und jubelten vor Freude. Und die anderen Völker sagten: »Herrliches hat der HERR für sie getan!« Ja, der HERR hat Herrliches für uns getan und wir waren fröhlich! HERR, wende unser Schicksal auch jetzt wieder zum Guten; so wie Bäche die Wüste neu beleben. Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Weinend gehen sie hinaus und streuen ihre Samen, jubelnd kehren sie zurück, wenn sie die Ernte einholen.

     Der Beter des Psalms spricht von schweren Zeiten. Von Zeiten der Gefangenschaft, von Zeiten der Deportation. Aber er spricht auch von dem herrlichen Handeln Gottes. Ein Handeln, ein Eingreifen, das niemand für möglich gehalten hatte. Ein Handeln, das Trauer und Betrübnis in Freude verwandelte, eine große Freude, aber eine Freude, die vergangen ist. Der Beter des Psalms denkt zurück, an diese große Freude, weil sich die Zeiten geändert hatten. Wieder gab es Verschleppte, Gefangene, Trauernde, Weinen und Wehklagen, statt Jubel und Freude. Der Beter denkt zurück und nährt seine Seele mit den Erinnerungen an das Handeln Gottes um die Hoffnung zu nähren, das es wieder so kommen kann. Der Beter denkt zurück, vielleicht zu Mose und dem so phantastischen Auszug des Volkes Israel aus Ägypten.

     In der ersten Lesung haben wir heute etwas aus dieser Zeit gehört. Der befreiende Auszug, die große Freude, der Bundesschluss mit Gott, alles scheint Friede, Freude und Glückseligkeit. Doch noch während Mose Gottes Gebote empfängt, gießt das Volk ein goldenes Kalb und betet es an.

     Alles scheint vorbei. Mose ist stinksauer und zerschlägt die Gesetzestafeln, Gott ist stinksauer und will sein Volk aufgeben. Mose betet und ringt mit Gott. Gott lenkt ein, und er versichert Mose seiner Gnade. Mose hat nur einen intensiven Wunsch, Gott ganz nah zu sein, von Angesicht zu Angesicht. Gott macht ihm deutlich, dass dies nicht möglich ist, aber er darf seine Nähe spüren und ihm hinterher schauen. Doch eine letzte Sehnsucht bleibt. Freude und Sehnsucht sind eng verbunden. Wenn ich erleben darf, wonach ich mich intensiv gesehnt habe, erlebe ich eine große Freude.

     Auch der Beter unseres Psalms macht dies deutlich. Wie groß war in der Gefangenschaft die Sehnsucht nach Befreiung. Und als es dann wirklich passiert, war es fast unwirklich, wie ein Traum. Gott greift ein, er schenkt Befreiung. Er selbst handelt und ist seinem Volk ganz nah. Als Feuer- und Wolkensäule begleitet er sie sichtbar. Dieses Handeln und seine Nähe führen zu Jubel und Freude.

     Wie geht es uns mit diesen Texten? Haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht? Kennen wir scheinbar ausweglose Situationen, aus denen uns Gott heraus geführt hat? 
   
 Für mich ist solch ein Erleben die Wiedervereinigung unseres Landes. Geboren 1962 war für mich die Teilung Deutschlands und Europas eine feste Größe. Ergebnis des zweiten Weltkrieges, nicht zu ändern. Die Entwicklung 1989 hätte ich nie für möglich gehalten. Im November 1989 war ich zu einer Rüstzeit. Die Zeiten waren schwierig, die Lage im Land angespannt. Wir machten uns Sorgen um unser Land und den Frieden im Land. Am Abend des 8. November trafen wir uns zu einer intensiven, langen Gebetszeit. Wir beteten für ein friedliches Miteinander, für Veränderungen und ganz Mutige für den Wegfall der Grenzen. Spät nachts gingen wir auseinander, ohne zu wissen, dass Gott längst gehandelt hatte. Welch ein Erstaunen und welche Freude, als wir am nächsten Tag erfuhren, dass die Grenze offen war. Welche Freude und welch ein Jubel gingen damals durch unser Land. Wir waren wie die Träumenden. Alles konnte neu beginnen, alles schien möglich zu sein. Jetzt begann eine neue Zeit. Paradische Zustände und blühende Landschaften schienen greifbar nahe.

     Und heute, was ist davon geblieben? Haben wir nicht längst festgestellt, dass die neuen Zeiten auch nicht das Paradies gebracht haben. Hat Freiheit nicht auch zu Unversöhnlichkeit und Egoismus geführt? Ich habe den Eindruck, dass wir längst wieder gefangen und eingemauert sind. Gefangen in unseren Gedankengebäuden, in unseren Vorstellungen, wie die Welt sein müsste. Eingemauert haben wir uns, um uns von dem Anderen abzugrenzen, der nicht so ist wie ich, der nicht so denkt wie ich und folglich total verkehrt lebt. Wie das Volk Israel haben wir uns nach der Befreiung ganz schnell ein paar neue Götter geschaffen. Erfolg, Reichtum und Selbstverwirklichung oder Protest, Weltrettung und alternative Lebensweise. Nichts von alledem muss schlecht sein, aber als goldenes Kalb auf den Sockel gestellt, führt es in die Irre.

     Und so möchte ich mit dem Beter des Psalmes flehen: „HERR, wende unser Schicksal auch jetzt wieder zum Guten; so wie Bäche die Wüste neu beleben.“ Ich möchte meine Seele nähren mit Zuversicht, dass Gott immer noch derselbe ist. Ein Gott, der eingreift und die Situation wendet. Ein Gott, der sich denen zuwendet, die mit Tränen säen. Ein Gott, der bei denen ist, die an ihrer Welt, an ihrer Kirche, an ihrer Gemeinde leiden, weil sie die Fehlentwicklungen sehen und scheinbar nicht aufhalten können. Ich möchte meine Seele nähren mit der Gewissheit, dass Gott selbst eine Ernte schenken wird, die Grund zum Jubel ist.

     Im Buch Jesus Sirach heißt es: „Die ihr den Herrn fürchtet, hofft das Beste von ihm, hofft auf ewige Freude und Gnade.“ Gnade und Freude gehören also zusammen. Und so ist die Aussage Gottes Mose gegenüber: “Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.” Urgrund aller Freude über Gottes rettendes Handeln. Wenn wir diesen Bogen bis zu Jesus ziehen, der Gottes Liebe und Gottes Gnade in dieser Welt sichtbar gemacht hat und für immer uns zugesagt und geschenkt hat, so dürfen wir erkennen, dass wir in Jesus und seinem Heilshandeln einen Grund zur Freude haben, der von all unseren Lebensumständen unabhängig ist.

     Immer und in jeder Lage gilt mir und dir die Liebe Gottes und die Zusage seiner Gnade. Darüber will ich mich freuen und diese Freude nähren, mit der Hoffnung, dass ich ihn einmal sehen werde von Angesicht zu Angesicht. Dass die Freude darüber in uns wächst und uns in die Ewigkeit trägt, wünsche ich uns allen. Amen!

 

Der allmächtige Gott, segne dich, dass du auf deinen Wegen durch ihn Gnade und Freude empfängst.

Er behüte dich, in deinen Verstrickungen und in jeder Gefahr.

Er lasse sein Angesicht leuchten über dir, dass sein Licht in deine Dunkelheit scheint und deine Hoffnung nährt, dass er dich rettet.

Er sei dir gnädig, dass Vergangenes dich nicht erdrückt und du wissen darfst, er führt dich heraus.

Er erhebe sein Angesicht auf dich, denn du hast Gnade vor seinen Augen gefunden, und er kennt dich mit Namen.

Er schenke dir seinen Frieden, der sich in dir ausbreitet und deine Freude wachsen lässt, bis hin zur Ewigkeit.

Amen


Diakon Roberto Kemter

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